Die wichtigsten Ergebnisse
Die Leitzinssätze wurden auf der Sitzung am 4. Mai um 25 Bp auf 3,25% (Einlagensatz) bzw. 3,75% (Hauptrefinanzierungssatz) angehoben. Die EZB behält einen Tightening Bias bei. Reinvestitionen aus dem APP werden per Juli eingestellt.
Unsere Einschätzung
Wie schon im März wird auch nach der jüngsten Zinsanhebung ein Tightening Bias zum Ausdruck gebracht, eine Vorfestlegung auf weitere Zinsanhebungen gibt es jedoch abermals nicht. Der künftige Zinspfad soll von Sitzung zu Sitzung in Abhängigkeit der jeweils vorliegenden Daten bestimmt werden.
Es gibt allerdings erste Anzeichen, dass der EZB-Rat sich nahe des Zinsgipfels sieht. So wird erstmals darauf verwiesen, dass die seit Juli 2022 erfolgten Zinsanhebungen im Ausmass von 375 Bp stark auf die Finanzierungs- und die monetären Bedingungen im Euroraum durchschlagen. Die Geldpolitik wirkt mithin bereits erkennbar restriktiv. EZB-Präsidentin Christine Lagarde untermauerte diese Einschätzung mit dem Verweis auf die am 2. Mai veröffentlichte Bank Lending Survey. Derzufolge wurden die Kreditvergabestandards im 1. Quartal erneut verschärft und die Nachfrage nach Krediten schwächt sich ab.
Das spricht unseres Erachtens dafür, die Leitzinsen nicht weiter anzuheben, insbesondere da die bisherigen Zinserhöhungen ihre volle Wirkung erst noch entfalten werden. Darüber hinaus führen die Einstellung der Reinvestitionen im Asset Purchase Programme (APP) ab Juli sowie die Rückführung grosser Summen aus den TLTRO bis Ende des Jahres zu einer weiteren Verschärfung der Finanzierungskonditionen.
Davon abgesehen hat die EZB ihr vorrangiges Ziel, die Nachfrage zu dämpfen, bereits erreicht. Die realen privaten Konsumausgaben sind im 1. Quartal 2023 offenbar erneut geschrumpft, nachdem sie bereits im Schlussquartal 2022 um 0,9% gegenüber dem Vorquartal zurückgegangen waren. Eine rasche Wende zum Besseren ist nicht in Sicht, denn trotz der teilweise erheblichen Lohnsteigerungen in diesem und im nächsten Jahr wird das Gros der Beschäftigten in der Eurozone spürbare reale Einkommensverluste erleiden.
Zudem wird die Inflation in den kommenden Monaten erheblich zurückgehen. Wir rechnen im 4. Quartal mit Inflationsraten zwischen 2,5% und 3,0%. Auch die Kerninflationsrate wird im 2. Halbjahr spürbar sinken. 2024 sollte der Preisauftrieb weiter nachlassen. Die Aussicht hierauf nimmt ebenfalls den Druck, die Leitzinsen anheben zu müssen.
Interessant ist vor diesem Hintergrund Lagardes Aussage, der Tightening Bias gelte nur unter der Annahme des Eintreffens des im März formulierten Basisszenarios für Konjunktur und Inflation. Das lässt die Tür offen, diesen Bias in Anbetracht der im Juni aktualisierten Projektionen anzupassen.
Wir gehen davon aus, dass sich das konjunkturelle Umfeld in den nächsten Quartalen entgegen den Erwartungen der EZB nicht erkennbar aufhellt, sondern sogar eintrübt. Das wird den bereits erkennbaren Disinflationsprozess verstärken. Zudem könnte die Fälligkeit von etwa 480 Mrd. EUR aus TLTROs im Juni nicht so glatt über die Bühne gehen, wie von der EZB offenbar erwartet. Der grösste Teil der Summe entfällt auf italienische Banken, die der Mittelabfluss vor Probleme stellen könnte.
Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass das Leizinsniveau nicht weiter steigt. Sollte sich der EZB-Rat allerdings auf die infolge statistischer Effekte bis zum Sommer stark erhöhte Kerninflationsrate fokussieren, könnte im Juni ein letzter Zinsschritt um 25 Bp folgen.